Viele Schwule sind verheiratet – wir sprechen für die Partnerinnen und die Kinder
Die Hälfte aller Männer, die sich in der Schwulenszene bewegen sind – nach neuen Schätzungen – verheiratet oder leben in einer Partnerschaft mit einer heterosexuellen Frau. Aber das ist immer noch ein Tabu. In der Schweiz muss es Zehntausende Familien geben, in denen dieses Thema aktuell ist. Wir sind die Partnerinnen und die Kinder, die mitbetroffenen Familien. Wir bieten persönliche Beratung per Telefon, E-Mail oder im direkten Gespräch an. Wir moderieren ein Gesprächsforum im Internet. Wir organisieren Begegnungstage und unterstützen Selbsthilfegruppen für Betroffene in der Schweiz und im nahen Ausland. Wir halten Informationen für Therapeuten, Berater und Interessierte bereit und geben Interviews, um eine möglichst differenzierte öffentliche Diskussion über dieses tabuisierte Thema in Gang zu bringen.
Ein Schock für die ganze Familie
Das Coming-Out fällt homosexuellen Männern und Frauen heute sehr viel leichter. Unsere Gesellschaft ist endlich toleranter geworden. Doch leider gibt es immer noch viele Männer, die ihre schwulen Neigungen verstecken und ihre Partnerinnen hintergehen. Sehr oft sind es die Frauen, die ihren Männern auf die Schliche kommen. Wenn ein Ehemann sich dann outet, geht es aber nicht nur um seine individuelle Befreiung, die ganze Familie kommt in eine sehr schwierige Situation.
Die Frauen fühlen sich isoliert
Für die betroffenen Partnerinnen ist es ein Schock, der sie jahrelang, oft ein ganzes Leben lang nicht mehr loslässt. Die Frauen fühlen sich wie gelähmt, isoliert und stigmatisiert. Viele wagen lange nicht das Wort “schwul” in den Mund zu nehmen. Sie schämen sich und sie fürchten, dass man sie nicht ernst nehmen oder ihnen die Schuld am sexuellen Verhalten ihrer Partner geben könnte.
Verletzte weibliche Identität
Die Partnerinnen fühlen sich oft in ihrer weiblichen Identität nicht mehr sicher. Wie ist es möglich, dass ich nichts bemerkt habe? Bin ich womöglich selber irgendwie anders? Konnte ich mit diesem Mann meine Weiblichkeit wirklich entwickeln?
Konflikt für die Kinder
Fast immer spüren sie, dass etwas nicht stimmt. Aber sie spüren auch, dass sie nicht fragen dürfen. Wenn der Vater sich nicht outet, müssen sie das Familiengeheimnis ebenfalls hüten. Verwirrung und Schweigen belasten sie. Wie sollen sie sich verhalten? Wem vertrauen?
Das Tabu wirkt, die Umwelt schweigt
Von aussen wird ihre schwierige Situation oft gar nicht wahrgenommen. Die Gesellschaft sieht vor allem die Befreiung des schwulen Mannes, der nun endlich zu sich selbst gefunden hat. Und man sagt den Frauen, in anderen Ehen wird auch betrogen, was ist denn jetzt anders? Ehen werden geschieden, das ist hart und traurig. Aber hier geht es zusätzlich um ein Tabu. Über allen Beteiligten schwebt immer ein Verbot: Das kann es gar nicht geben, das ist im Innersten falsch, darüber spricht man nicht. Alle Beteiligten verstummen oft nach kurzer Zeit. Frauen und Kinder fühlen sich noch einmal im Stich gelassen, hintergangen, tot geschwiegen.
Mit wem können, bzw. müssen die Frauen reden?
Die betroffenen Frauen stehen vor einer schrecklichen Alternative: entweder sie machen das Versteckspiel des Partners mit und verstecken sich selbst. Oder sie sind zu einem eigenen “Coming-Out” gezwungen in der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, gegenüber dem Hausarzt, den LehrerInnen ihrer Kinder, der Familienberatungsstelle etc. Das braucht sehr viel Mut, es löst immer wieder Emotionen aus, neue Erklärungen werden verlangt, eine neue Sprache, und die Reaktionen des Umfeldes bleiben unberechenbar.
Für Kinder ist es besonders schwer darüber zu sprechen
Kinder und Jugendliche haben es besonders schwer, mit ihren Altersgenossen oder auch mit Erwachsenen über ihre Sorgen zu sprechen, denn unter ihnen sind Klischeevorstellungen und Vorurteile noch weiter verbreitet. Der Anpassungsdruck, das Bedürfnis, von Gleichaltrigen akzeptiert zu sein, ist im Mittel- und Oberstufenalter sehr hoch. Das Wort “schwul” wird von den Gleichaltrigen häufig als übles Schimpfwort gebraucht. Wie soll ein Kind damit umgehen, wenn es weiss, dass sein Vater schwul ist? Schulschwierigkeiten, Rückzug und Einsamkeit können die Folge sein.
Ansteckungsgefahr
Die Ansteckungsgefahr mit dem HIVirus steigt wieder. Eine wichtige Ansteckungsquelle ist der schnelle, anonyme Sex unter Männern. Gerade in dieser Gruppe gibt es sehr viele Männer, die verheiratet sind und eine Familie haben. So sind auch viele Frauen gefährdet. Die wachsende Ansteckungsquote unter Frauen dürfte hier eine wichtige Quelle haben. Auch Syphilis und Hepatitis B werden so übertragen. Diese Gefahren sind besonders gross, solange die schwulen Männer ein Doppelleben führen.
Auch wenn manche Frauen einen begründeten Verdacht oder Beweise haben, wagen sie es nicht mit dem Partner darüber zu sprechen und die Benutzung von Kondomen zu verlangen. Es entspricht nicht ihren Vorstellungen von der Ehe, dass sie sich schützen müssten. Und sie scheuen sich, dem Partner gegenüber auf ihrem Verdacht zu bestehen, dass er viele und wechselnde sexuelle Kontakte haben könnte. Sie fürchten ihn mit dem blossen Gedanken bzw. Verdacht schon tief zu verletzen. Auch das ist eine Folge der Tabuisierung.
Die Männer wiederum haben grosse Angst davor sich zu outen. Sie fürchten ihre Familien und ihr gesellschaftliches Ansehen zu verlieren und können deshalb nicht zugeben, dass sie sich und ihre Partnerinnen anstecken könnten. So bleibt gerade in dieser Gruppe die Ansteckungsgefahr weiterhin gross. Das Tabu belastet alle, die ganze Gesellschaft.